Der Bumerang und der chinesische Wolf
Der Bumerang ist eine traditionelle Wurfwaffe der australischen Aborigines. Von einem „Bumerangeffekt“ wird gesprochen, wenn eine Maßnahme zunächst Erfolg zu haben scheint, dieser Erfolg aber nach einiger Zeit wieder zunichtegemacht wird oder sich sogar ins Gegenteil verkehrt. Als „politischer Bumerang“ wird eine Strategie bezeichnet, die, anstatt den beabsichtigten Effekt auszulösen, aus verschiedenen Gründen genau das Gegenteil bewirkt und sich gegen den Urheber der Strategie wendet: Sie fällt auf ihn zurück.
Nach weiteren, durch die aggressive Politik des japanischen Militärs provozierten Zwischenfällen kam es ab 1937 zum Japanisch-Chinesischen Krieg. Japan besetzte weite Teile Chinas, stieß jedoch auf unerwartet hartnäckigen Widerstand der nationalchinesischen Truppen unter der Kuomintang-Regierung von Chiang Kai-Chek. Die vollständige Unterwerfung Chinas gelang nicht. Nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor 1941 traten die Vereinigten Staaten an der Seite Chinas in den Krieg ein, der 1945 mit der bedingungslosen Kapitulation Japans endete.
Nach dem Krieg gehörte China unter Chiang Kai-shek zu den Siegermächten und den Gründungsstaaten der Vereinten Nationen. Die Republik China erhielt einen der fünf ständigen Sitze im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (neben den USA, der Sowjetunion, dem Vereinigten Königreich und Frankreich). Im chinesischen Bürgerkrieg zwischen der Kuomintang-Regierung und den Milizen der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh), der nach dem Ende des Weltkrieges 1945 wieder aufflammte, waren – für den Westen – überraschenderweise die Kommunisten siegreich und konnten das gesamte chinesische Festland erobern.
Die amerikanische Einschätzung war die, die Unabhängigkeit der KPCh zwar ungünstig für die USA, aber amerikanische Politiker sollten auf Chiang Kai-shek verzichten und nichts gegen die Kommunisten unternehmen. Mit dieser vorsichtigen Politik war auch Harry Truman (1884–1972) einverstanden, der von 1945 bis 1953 der 33. Präsident der Vereinigten Staaten war.
Der amerikanische Außenminister Dean Achinson schrieb einen Brief am 30. Juli 1949 an Präsident Truman: „Im achtzehnten und im neunzehnten Jahrhundert hat sich die chinesische Bevölkerung verdoppelt, was einen unerträglichen Druck auf das Land ausübt. Die wichtigste Aufgabe jeder chinesischen Regierung besteht darin, diese Bevölkerung zu ernähren. Bislang ist noch jede erfolglos geblieben.“ [1]
1949 wurde dort die Volksrepublik China mit dem Vorsitzenden der KPCh Mao Zedong als Staatsoberhaupt gegründet. Die nationalchinesische Kuomintang-Regierung konnte sich lediglich auf der Insel Taiwan behaupten und etablierte dort die Republik China auf Taiwan.
1949 hatte Harry Truman zum ersten Mal den Bumerang geworfen.
Der zweite Bumerang
Richard Milhous Nixon (1913–1994) war von 1969 bis 1974 der 37. Präsident der Vereinigten Staaten. Eine entscheidende Wende kam unter der Präsidentschaft Nixons. 1972 besuchte Nixon als erster amerikanischer Präsident die Volksrepublik China im Rahmen der so genannten Ping-Pong-Diplomatie. Am 21. Februar 1972 traf Nixon in Peking ein und führte Gespräche mit Mao Zedong, sie vereinbarten eine Normalisierung der diplomatischen Beziehungen und Nixon sagte zu, die US-Truppen aus der Republik China (Taiwan) abzuziehen.
Dem Besuch vorausgegangen war im Jahr 1971 die Resolution 2758 der UN-Generalversammlung, in der die Volksrepublik China als alleinige legitime Vertreterin Chinas anerkannt wurde. Die Volksrepublik erhielt den bisherigen Sitz der Republik China auf Taiwan im Sicherheitsrat und letztere wurde aus den Vereinten Nationen ausgeschlossen.
Der dritte Bumerang
Jimmy Carter (* 1. Oktober 1924) war zwischen 1977 und 1981 der 39. Präsident der Vereinigten Staaten. Er empfing Deng Xiaoping 1979. Der Staatsbesuch von Deng Xiaoping in den Vereinigten Staaten war der erste offizielle Besuch eines führenden Führers Chinas in den USA. Deng unternahm den Besuch in seiner offiziellen Eigenschaft als Erster Vizepremier des Staatsrates und Vorsitzender der politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes. Der Besuch leitete eine Reihe hochrangiger Austausche ein, die bis zum Frühjahr 1989 andauerten. Er war auch der ranghöchste chinesische Besuch im Land seit Chiang Kai-shek aus der Republik China im Jahr 1943. Am 15. Dezember 1978 angekündigt, begann der Besuch erst Ende Januar 1979 und dauerte bis Mitte Februar.
Jimmy Carter unterstützte die Reform- und Öffnungspolitik der Volksrepublik China gegenüber der Welt und insbesondere dem Westen unter Deng Xiaoping. Ab 1978 begann unter Deng Xiaoping die Phase der Reform- und Öffnungspolitik in der Volksrepublik China, die de facto eine Abkehr vom bisherigen planwirtschaftlichen System hin zu kapitalistischen Wirtschaftsformen bedeutete. Damit intensivierten sich auch die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den USA und der Volksrepublik. Eine politische Richtungsänderung in Richtung auf eine pluralistische Gesellschaftsform war damit nicht verbunden. Trotz einzelner Anzeichen der Liberalisierung in einigen Bereichen behielt die KPCH die politische Macht fest in ihrer Hand und verteidigte diese auch mit Waffengewalt gegen Demonstranten im eigenen Land, wie das Tian’anmen-Massaker am 3./4. Juni 1989 zeigte, das die US-amerikanisch-chinesischen Beziehungen vorübergehend erheblich belastete.
Nach Angaben der Weltbank stieg das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) Chinas zwischen 1978 und 2014 um das 48-fache, die Arbeitsproduktivität je Erwerbstätiger erhöhte sich von 1980 bis 2012 um das Neunfache.
Der vierte Bumerang: Chinas Beitritt zur WTO
Es sind große Herausforderungen für China und die Weltwirtschaft. Seit Ende 2001 ist China Mitglied der Welthandelsorganisation. Dieser wichtige Schritt hat nicht nur Auswirkungen auf die Lebenssituation der 1,3 Milliarden Chinesen und die wirtschaftliche und politische Entwicklung der Volksrepublik, sondern wird durch das enorme Marktpotenzial und wirtschaftspolitische Gewicht Chinas das globale System insgesamt neu strukturieren
Der chinesische Wolf
Eine alte Fabel besagt: Der Wolf begegnet einem Mann, dem Herrn Dongguo, und bittet ihn um Hilfe. Herr Dongguo ist ein regelrechter Büchernarr und hat schon unzählige Bücher gelesen. An diesem Tag trug er in einem großen Sack einige Bücher auf seinem Rücken. Der Wolf, vom Jäger gehetzt und schon arg verwundet, sagte zu Herrn Dongguo: „Sehr geehrter Herr, ich werde vom Jäger verfolgt und wurde von seinem Pfeil getroffen. Ich bitte Sie, verstecken Sie mich in Ihrem Sack. Ich werde es Ihnen ganz sicher vergelten.“
Herr Dongguo weiß natürlich, dass der Wolf Menschen frisst, bemitleidet aber den verletzten Wolf sehr. Nachdem der Wolf seine Bitte einige Mal wiederholte, willigte Herr Dongguo ein und erlaubt dem Wolf, sich im Sack zu verstecken. Der Wolf lag völlig zusammengerollt und mucksmäuschenstill in dem Sack, damit sein Körper den Sack bloß nicht ausbeult und keine Bewegung den Inhalt verrät. Der Jäger traf kurz darauf auf der Suche nach dem Wolf ein. Er fragte Herrn Dongguo: „Haben Sie einen verwundeten Wolf gesehen? In welche Richtung ist er gelaufen?“ Herr Dongguo antwortete: „Nein, ich habe keinen Wolf gesehen. Hier gibt es viele Wege. Der Wolf ist vielleicht ganz woanders.“ Der Jäger glaubte ihm und suchte in einer anderen Richtung weiter.
Der Wolf hatte alles im Sack mit angehört und bat Herrn Dongguo, ihn aus dem Sack zu befreien. Herr Dongguo folgte der Bitte, und der Wolf war frei. Plötzlich sagte der Wolf zu Herrn Dongguo: „Mein geehrter Herr, ich danke Ihnen für die Rettung. Jetzt habe ich aber großen Hunger und möchte Sie fressen. Darf ich?“ Im gleichen Augenblick stürzte sich der Wolf zähnefletschend und prankenschlagend auf Herrn Dongguo. Herr Dongguo wehrte sich mit allen Kräften, rief um Hilfe und schrie etwas von Undankbarkeit. Zufällig näherte sich ein Bauer mit einer Hacke dem Kampfplatz. Herr Dongguo erzählte dem Bauern sein Erlebnis, damit er die Sache beurteilen kann. Der Wolf hat aber seine Rettung durch Herrn Dongguo total geleugnet. Der Bauer überlegte eine Weile und sagte: „Ich glaube Euch beiden nicht. Der Sack ist so klein, wie kann man da den großen Körper des Wolfs hineinstecken? Zeigt das noch einmal, damit ich mir ein Bild von der Sache machen kann!“
Die beiden waren einverstanden. Der Wolf legte sich noch einmal total zusammengerollt in den Sack, damit sein Körper von außen nicht erahnt werden kann. Nachdem Herr Dongguo den Wolf in seinem Sack gesteckt hat, bindet der Bauer den Sack sofort zu. Der Wolf ist in dem Sack gefangen. Zu Herrn Dongguo sagt der Bauer dann: „Sie sind wirklich dumm, einem bösen Wolf zu glauben.“ Danach schlug er den bösen Wolf im Sack mit seiner Hacke tot.
Herr Dongguo dankte dem Bauern für die Hilfe.
Das chinesische Virus
Donald Trump bezeichnet hartnäckig COVID-19 als „chinesisches Virus“. Der überschwängliche Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Chef der größten wirtschaftlichen und militärischen Macht in der Geschichte, musste sich doch unterwerfen: wegen des Adjektivs „chinesisch“ … Kurz zuvor war es der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro, der seinen Kopf neigen musste, weil ihm vorgeworfen wurde, gesagt zu haben, dass das Coronavirus aus China gekommen war. Er konnte es sich nicht leisten, den chinesischen Markt zu verlieren.
Indem China seine wirtschaftliche Vormachtstellung mit surrealer Arroganz ausübt, erlaubt es sich, die Geschichte auf eigene Weise neu zu schreiben. Mit Erpressung und Propaganda gelang es ihr, in wenigen Wochen vom Verbrecher zum Helden zu werden. Die Coronavirus-Epidemie begann genau in China und verbreitete sich dank der Vernachlässigung und Arroganz der kommunistischen Regierung von Peking, wie viele Experten inzwischen berichtet haben. Trotzdem präsentiert sich China heute als Vorbild und sogar als den guten Samariter und setzt seine Linie einem traurigen und unterworfenen Westen auf.
Die Covid-19-Pandemie scheint jedoch die Karten anders gemischt zu haben. Chinas Verantwortung für die Pandemie, die jetzt die ganze Welt erfasst, wird immer offensichtlicher. Die einzigen, die dies leugnen, sind die Chinesen selbst, die auch mit sehr schweren Strafen gegen diejenigen drohen, die es wagen, diese Offensichtlichkeit zu bekräftigen. Als Pekings Arroganz ein surreales Niveau erreicht, sollte der Westen fragen, ob er nicht den falschen Weg eingeschlagen hat: „China infiziert uns, kauft uns und wir bedanken uns noch bei ihnen?“
Im Streit um das nationale Sicherheitsgesetz in Hongkong haben sich die britischen Großbanken HSBC und Standard Chartered auf die Seite Chinas geschlagen. Beide stellten sich schon öffentlich hinter das umstrittene Sicherheitsgesetz, mit dem Peking seinen Einfluss in Hongkong ausbauen will.
Das Gesetz, das Ende Mai vom Nationalen Volkskongress, dem Quasi-Parlament Chinas, abgenickt wurde, sieht laut Einschätzung von Experten einen tiefen Eingriff Pekings in Hongkong vor – bis hin zum Einsatz von chinesischen Sicherheitskräften in der Sonderverwaltungszone.
Die britische Regierung hatte Hongkong 1997 an China zurückgegeben. Im Übergabevertrag war eine weitgehende Autonomie der Stadt nach dem Prinzip „ein Land, zwei Systeme“ festgeschrieben worden. Viele Regierungen, darunter auch die britische, sehen dieses Prinzip durch die Sicherheitsgesetze gebrochen.
Die demokratische Wertegemeinschaft muss nun Taiwan schützen, nachdem Hongkong verlorengegangen ist. Präsident Xi Jinping und seine Nomenklatura sind in den vergangenen Jahren zunehmend autokratisch und respektlos gegenüber dem Rest der Welt aufgetreten. So wie die Volksrepublik mit Hongkong und Taiwan umspringt, wird es auch mit dem Rest der Welt umspringen, sobald es die Macht dazu haben wird. Wer die Freiheit liebt, kann das nicht wollen.
[1] Rainer Hoffmann: Kampf zweier Linien, Seite 12, Ernst Klett Verlag, Stuttgart 1978