Jeder ist Heimatpfleger
In China geboren, in Bamberg glücklich: You Xie
„You“ heißt „Freund“, „Xie“ heißt „Danke“. In China wird das „e“ wie Mittelhochdeutsch oder Althochdeutsch ausgesprochen“. Hier ist das anders, aber ich habe mich daran gewöhnt. In China Dort begegneten die Schulkinder in den Geschichtsbüchern oft meinem Familiennamen. In China ist er ähnlich bekannt wie in Deutschland der Name Bismarck. Mein Urahn Xie An war ein bedeutender Herzog, der während der Jin-Dynastie im 4. Jh. n. Chr. herrschte. Seither hatten die Xies auf unterschiedliche Weise das Land geprägt. Ich bin ein Nachfahre von Xie An in 56. Generation.
Ich lebe in Bamberg mit Qualität. Vor ungefähr zehn Jahren war ich mit Freunden von VW aus Shanghai auf dem Michaelsberg beim Kaffeetrinken. Wir betrachteten den blauen Himmel und weiße Wolken. Herr Liu, der Direktor sagte: „So was haben wir in Shanghai schon lange nicht mehr, alles Smog. So einen blauen Himmel und weiße Wolken haben wir Chinesen nicht.“
Sonntags gehe ich sehr gerne in Bamberg spazieren, beeindruckt lese ich die Gedenktafeln an den Gebäuden. Bamberg lebt mit seiner Geschichte. Das schöne Stadtbild nicht nur mit all seinen Kirchen, Palais und Bürgerhäusern, sondern die Gedenktafeln sind ein spannendes Geschichtsbuch, mindestens für mich. Bamberg hat seine Kultur gut erhalten.
2010 kam ich in die Auswahl der Top 100 Chinese Public Intellectuals. Zu den 100 Chinesen gehören auch Ai Weiwei, der Konzeptkünstler und Gao Xingjian, Nobelpreisträger. Die Top 100 Chinese Public Intellectuals leben in China oder im Ausland. Sie haben gute wissenschaftlichen Beiträge und/oder Vorschläge für die chinesische Regierung gemacht. Meine Voraschläge waren:
Die Einführung von Arbeitsverträgen und einer Sozialversicherung für Wanderarbeiter;
China und Japan sollen von Deutschland und Frankreich lernen, sich zu versöhnen;
China soll von Deutschland lernen, ein Verfassungsgericht zu errichten;
China sollte von Bamberg lernen, seine alte Kultur zu erhalten.
……
Von Bamberg gelernt
Su Qing(1914-1982)war eine chinesische Schriftstellerin und Drehbuchautorin. Sie zählt zu den modernen Klassikern der chinesischen Literatur. Anfang 2010 haben mir ihre Verwandten geschrieben, Su Qings Geburtshaus werde abgerissen. Über meine Blogs im Internet und Tageszeitungen in Stadt Ningbo (Su Qings Heimat) appellierte ich an die chinesische Regierung, Su Qings Geburtshaus nicht abzureißen. In einem offenen Brief verglich ich Su Qing mit E.T.A.Hoffmann. Ende März 2010 hat mir der Ningbos Oberbürgermeister geschrieben: “ Su Qings Geburtshaus wird nicht abgerissen.“ In diesem Moment war ich dankbar und dachte zuerst an engagierte Bamberger Bürger, von denen ich viel gelernt habe. Ich bin aus diesem Grund auch Mitglied im Bamberger Bürgerverein Mitte geworden, dessen Arbeit und Zeitung ich sehr schätze.
Integriert in Bamberg
Unter Integration verstehe ich so入国问禁, 入乡随俗 (rù ɡuó wèn jìn, rù xiānɡ suí sú) Es gibt eine schlechte englische Übersetzung: „When in Rome do as the Romans do.“ Als chinesischer Germanist interpretiere ich den Satz so: Unbedingt die Gesetze und Vorschriften in deinem neuen Land einhalten; unbedingt die Sitten und Bräuche in deiner neuen Gemeinde beachten.
Bundespräsident Joachim Gauck hat sich von der Einschätzung seines Vorgängers Christian Wulff abgesetzt, der Islam gehöre zu Deutschland: „Ich hätte einfach gesagt, die Muslime, die hier leben, gehören zu Deutschland.“
Ich bin nicht zufrieden auch nicht einverstanden mit diesen zwei Sätzen.
Die Intention nehme ich an: Alle Migranten, die hier in Deutschland leben und das deutsche Wertesystem des Grundgesetzes anerkennen, gehören zu Deutschland. Der Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes garantiert die Unantastbarkeit der Menschenwürde sowie die Bindung der staatlichen Gewalt an die weiteren Grundrechte (Artikel 1 bis 19) der bundesdeutschen Verfassung. Ebenso wie Artikel 4 GG gewährleistet die Religionsfreiheit für alle, also auch für hier lebende Muslime, Taoisten, Buddhisten und Konfuzianisten. Sie haben das Recht, ihre Religion hier auszuüben und genauso wie Christen oder Juden Häuser für ihre Versammlungen zu bauen. Artikel 5 gewährleistet die Pressefreiheit, ich darf hier Zeitung herausgeben, aber wir Migranten haben nicht das Recht, sich über die für alle geltenden Gesetze hinwegzusetzen.
Alte und neue Heimat
Ich lebe in Bamberg über 27 Jahre. Ich wollte mein Deutsch verbessern und deutsche Philosophie lernen. 1988 kam ich mit Zug durch Nord-China, die ehemalige Sowjetunion, Polen und die DDR in Bamberg an. Hier studierte ich Germanistik, Journalistik und Europäische Ethnologie. 1993 diplomierte ich über die Pressepolitik der Kommunistischen Partei Chinas. Von 1993 bis 1996 studierte ich Jura an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
Rechte und Pflichten
Heimat ist immer verbunden mit Herz, Liebe und Ärger, mit Rechten und Pflichten. Man kann hier den blauen Himmel und die weiße Wolke genießen, man muss auch wissen, wie das Wasser in der Regnitz fließt. Man muss auch so handeln, dass das Wasser in der Regnitz sauber bleibt. Man muss großen Wert auf Schule und Altenheim legen. Jeder hat die Verpflichtung und Verantwortung, seine Heimat gut zu pflegen. Wenn man nicht kompetent ist, bringt man dann Ideen ein; Wenn man keine Idee hat, bringt man dann Geld ein; Wenn man kein Geld hat, bringt man dann Kraft ein.
Recht auf Pflichten
Im Grunde genommen liebe ich meine Bamberger Heimat mehr als meine alte Heimat. Hier bin ich zufrieden und sehr glücklich. Ich habe eine Treuepflicht gegenüber meiner neuen Heimat. Als Kaufmann muss ich fleißig arbeiten und meine Bücher immer in klarer Ordnung halten und meine Steuer korrekt zahlen. Das sind Pflichten, die ich zu erfüllen habe. Für mich ist auch ein Recht, meine Pflicht tun zu dürfen, worüber ich glücklich bin und von manchen beneidet werde. Pflichten sind eine Freude in meinem Leben. Ich verfolge zu Zeit gespannt die Entwicklung des ICE-Ausbaus, der Konversion (US-Gelände) und des Quartiers an der Stadtmauer.
Stolz auf Bamberg
Ich bin stolz, als Bamberger zu sein. Hier haben wir nicht nur einen 1000-jährigen Dom, hier haben wir auch Willy Aron. Mein Lieblingsort ist der Schillerplatz, wo sich nicht nur das Wohnhaus des Justus Heinrich Dientzenhofer und E.T.A.Hoffmann-Museum befinden, sondern auch eine Etappe auf dem Weg zum Rechtsstaat gemacht zurückgelegt wurde. Die Bamberger Verfassung ist mir sehr wichtig.
Ich bin mit leeren Händen gekommen, sollte eigentlich mit leeren Händen und vollem Kopf nach China zurück. Das habe ich nicht geschafft. Nach dem Abschluss des Diplom-Studiengangs 1993 wollte ich nach China zurück. Leider war für mich ein Einreiseverbot, weil ich zu viel Artikel gegen die Regierung veröffentlicht hatte und Dissident wurde. Bis heute darf ich noch nicht nach China zurück. Wenn es möglich wird, will ich meine Geschwister besuchen. Mein Vater verstarb 1990, ich durfte nicht nach Hause zu seiner Beerdigung. Ich will sein Grab sehen und persönlich mal pflegen.
Jetzt ist es umgekehrt: Ich habe volle Hände, aber einen leeren Kopf. Ich schäme mich zu sagen, dass ich ein Bamberger bin, weil ich noch zu wenig Ahnung von Bamberg habe, zu wenig über Bamberger Geschichte und Kultur weiß.
Ich muss nach wie vor fleißig arbeiten, lesen, lernen, denken und schreiben. Nach meinem Tod werde ich verbrannt, meine Asche sieht wie die eines Chinesen aus, aber ich bin ein Bamberger! Ich werde hier in Bamberg begraben.
Es ist klar, ich bin kein alteingesessener Bamberger. Und wer ist ein altangesessener oder ein altansässiger Bamberger? Laut meiner kulturellen Beobachtung ist jemand ein Bamberger, wenn er seit drei Generationen in Bamberg lebt, nämlich schon sein Großvater in Bamberg geboren wurde und seine Familie noch immer in Bamberg lebt.
Ich (You Xie) bin ein Ausländer, denn ich denke und träume noch chinesisch. Mein Sohn Edwar ist in Bamberg geboren und aufgewachsen, er ist ein Halbausländer, mein Enkel sollte deutsch sein.
Vielen Dank!
You Xie
Journalist und Schriftsteller
中德雙語專欄作家
Stadtrat der Stadt Bamberg
班貝格民選市議員
Mehr über You Xie:
http://de.wikipedia.org/wiki/You_Xie