Hat Max Weber recht? ?>

Hat Max Weber recht?

Hat Max Weber recht?
Von You Xie
Die Ausgangsfrage im Buch „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ lautet, weshalb die moderne Kultur gerade im Okzident entstanden sei und sich z. B. nicht (auch) in China oder Indien bzw. im Orient, entwickelt habe, bzw. warum sie in Westeuropa nicht schon früher aufgetreten sei. Weber führt dies auf einen „spezifisch gearteten Rationalismus der okzidentalen Kultur“ (Bd. 1, S. 20) zurück. Sein Ziel ist daher, die besondere Eigenart des okzidentalen Rationalismus und insbesondere seiner modernen Variante zu erkennen und ihre Entstehung zu erklären.
„Der konfuzianische Rationalismus bedeutete rationale Anpassung an die Welt. Der puritanische Rationalismus: rationale Beherrschung der Welt.“ [1]
Max Weber vertritt in seinem Hauptwerk „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ die Auffassung, dass nur der im Abendland entwickelte Kapitalismus den untrennbaren internen Zusammenhang mit der protestantischen Ethik aufweise. Dies begründet er damit, dass er angesichts der protestantischen Ethik die rational und legitim nach Gewinnmaximierung strebende Arbeit im irdischen Leben als das wichtigste Mittel der religiösen Praxis eines Protestanten betrachtet. Denn die Intention der menschlichen Arbeit liegt nicht nur darin, die Bedürfnisse der Menschen im weltlichen Leben zu erfüllen. Es ist ebenso deren Ziel, den Willen Gottes zu befolgen und durch Erfüllung der beruflichen Pflichten sich und anderen zeigen, dass man Gott gefällt.
Die Menschen führen beim fleißigen Arbeiten ein selbstkontrolliertes und reglementiertes Leben und benötigen keine sinnlichen Befriedigungen. Die spezifische Leistung des Puritanismus war es, diesen Lebensstil in das weltliche Leben hineingetragen und integriert zu haben. Im Puritanismus muss sich der Glauben im Berufsleben bewähren. Der puritanische Berufsgedanke bedeutet ursächlich die Rationalisierung der Lebensgestaltung im Geschehen der westlichen Welt. Max Weber betrachtet deshalb den ökonomischen Rationalisierungsprozess als das Grundmotiv des okzidentalen modernen Kapitalismus.
Demgegenüber ist das Bestreben, Kapital zu akkumulieren, bei Chinesen durch den Sinn im diesseitigen Leben bestimmt und nicht durch religiöse Anschauungen motiviert. Der weltliche Sinn stellt sich in der traditionellen chinesischen Kultur folgendermaßen dar:
1. „Es gibt drei Arten der Pietätlosigkeit, die Schlimmste ist, keine Nachkommen zu haben.“ (bu xiao you san, wu hou wei da.不孝有三,无后为大。)
Diese Gedanken von Menzius, dem berühmten Nachfolger des Konfuzius, bilden den Kern der konfuzianischen „Familienethik“. Die Familie ist das Fundament und das entscheidende Element in der Geschichte der chinesischen Gesellschaft. Basierend auf dieser Auffassung soll jeder möglichst viele Nachkommen zeugen und diese dann möglichst lange von der Familie profitieren lassen. Dadurch wird der Geist der Familie in ununterbrochener Entwicklung von Ahne zu Ahne über Generationen weitervererbt.
2. Im Buch „Mengzi, Gaozi I“ steht folgendes: „Essen, Trinken und Sexualität, sind die Begierden des Menschen“ (shi, se, xing ye. 食, 色, 性也。). Eine ähnliche Ansicht ist auch im Lunyu zu finden: „Reichtum und Ehre sind es, was die Menschen wünschen; […] Armut und Niedrigkeit sind es, was die Menschen hassen; […]“ (fu yu gui, shi ren zhi suo yu ye; pin yu jian, shi ren zhi suo e ye. 富与贵,是人之所欲也;贫与贱,是人之所恶也。Lunyu 论语4.5)
Diese Auffassung des Konfuzianismus betont und begründet das Streben nach materiellen Dingen im diesseitigen Leben. Unter dem Einfluss der weltlichen konfuzianischen Ethik verwirklichen sich die Kapitalakkumulation und das Streben nach Gewinn. Damit wird die Möglichkeit geschaffen, in den Genuss irdischer, materieller Vergnügen zu gelangen und gleichzeitig das Prestige und die Ehre der Familie erhöht.
Daraus ergibt sich der durch konfuzianische ethische Werte charakterisierte Familienkapitalismus, der eine eigene Kategorie darstellt und der als „konfuzianischer Kapitalismus“ bezeichnet werden kann. Im Gegensatz dazu könnte die im Westen bzw. Europa entstandene und verbreitete Art des Kapitalismus als „protestantischer Kapitalismus“ bezeichnet werden.
Im Forschungsfeld gibt es verschiedene Erklärungsmuster des „Konfuzianischen Kapitalismus“. Aber könnte es auch sein, dass es keine universellen Werte des Konfuzianismus gebe. Und die These vom „Konfuzianischen Kapitalismus“ sei bloß von Politikern instrumentalisiert worden, um autoritäre Herrschaftsausübung zu legimitieren.
Die Argumentation besteht darin, dass der kulturelle Hintergrund des Wirtschaftsaufschwungs der letzten Jahrzehnte im Südostasien auf die konfuzianische Ethik zurückzuführen sei und das ostasiatische Wirtschaftsmodell als „Konfuzianischer Kapitalismus“ genannt würde. Der bekannteste Vertreter dieser Auffassung ist Tu Weiming (杜维明).
Die Entstehung des Betriebskapitalismus wurde jahrhundertelang von der im Konfuzianismus geprägten chinesischen Gesellschaft verhindert. Die Gründe dafür liegen nicht an den konfuzianischen Werten selbst, sondern der neuzeitlichen Historie Chinas. Man sagt, dass in der Spätzeit der Ming-Dynastie, d.h. ungefähr die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts bis zum Beginn des siebzehnten Jahrhunderts, der Keim des Kapitalismus weiter hätte wachsen können, aber wegen der Eroberung der Mandschu die Entwicklung unterbrochen wurde. Einerseits wurde durch die Kultur-Tyrannei der Qing-Dynastie der Konfuzianismus gewissermaßen zerstört. Andererseits wurden die in der Ming-Dynastie aktiven auswärtigen Angelegenheiten und der Handel mit dem Westen wegen der „verschlossene-Tür-Politik“ beendet. Im gleichen Zeitraum hatte sich der Kapitalismus in Japan nach der Meiji-Restauration rasant entwickelt. Dadurch wird plausibel, dass die konfuzianische Ethik selbst nicht der behindernde Faktor des Kapitalismus ist, sondern das Mandarinensystem, welches von den damals Herrschenden unter dem Namen des Konfuzianismus etabliert wurde.
Der protestantischen Ethik zufolge erfüllen die Menschen ihre Berufsaufgaben lediglich und allein um Gottes Willen zu erfüllen und der Sinn ihres weltlichen Lebens liegt in der Verherrlichung ihres Schöpfers. Der konfuzianischen Ethik entsprechend, arbeiten die Menschen jedoch für die Glorifizierung ihres Familien-Ethos.
Konfuzianische Familienethik
Die Familie stellt das Fundament und den entscheidenden Faktor in der Geschichte der chinesischen
Gesellschaft dar. In der kulturellen Tradition Ostasiens ist die Familie ein so starkes Element, dass, mit einigen Abstrichen, die konfuzianische Ethik vereinfacht auch als „Familienethik“ bezeichnet werden kann.
Konfuzius hebt häufig die Tugenden der Familienbeziehungen wie z. B. Kindespietät und Brüderlichkeit, Gehorsam gegenüber den Eltern sowie dem Ehemann hervor. Im Konfuzianismus stützen die folgenden fünf Arten von menschlichen Beziehungen die Gesellschaft:
1. Herrscher – Untertan
2. Vater – Sohn
3. Ehemann – Ehefrau
4. Älterer Bruder – Jüngerer Bruder
5. Freund – Freund
Die drei mittleren Beziehungen bilden den Kern des Familienlebens. Die Stellung der Familie wurde von Konfuzius als das wesentliche und tragende Element der Gesellschaft erkannt und beschrieben.
Konfuzius fordert denjenigen auf, der ein trefflicher Mensch sein will, also ein Edler (Junzi), ein im konfuzianischen Sinne qualifiziertes Mitglied der Bildungselite zu werden. Er soll ständig danach streben, „sich selbst zu kultivieren, die Familie zu harmonisieren, den Staat in Ordnung zu bringen, und die Welt zu befrieden.“
Die „Harmonisierung der Familie“ ist eine grundlegende Voraussetzung für die Übernahme sozialer und politischer Verpflichtungen. Pietät und die Pflicht zur Zeugung männlicher Nachkommen gehören zu den wichtigsten Elementen der Familienethik im Konfuzianismus. Die absolute Gültigkeit der Pietät als Teil des moralischen Fundaments liegt darin begründet, dass sie die „Wurzel des Wohlwollens“ sein soll.
Die chinesische Kultur ist von nichts anderem so sehr durchdrungen und geprägt worden, als von dem konfuzianischen Konzept der kindlichen Pietät, also dem Gehorsam der Kinder gegenüber den Eltern. Das chinesische Schriftzeichen für Pietät heißt „xiao“ (孝) und setzt sich aus den Zeichen für „Alter“ (老) und „Sohn“ (子) zusammen. Semantisch impliziert „xiao“ die Bedeutung „Respekt vor den und Fürsorge für die Eltern“. „Xiao“ enthält eine starke hierarchische Ausrichtung in der Beziehung zwischen Eltern und Kindern, in der die Kinder die untere Stufe besetzen.
Die Pietät bedeutet nach Konfuzius aber keine lästige Pflichterfüllung, sondern sie soll ihre Wurzeln in einem tiefen Gefühl der Dankbarkeit des Kindes gegenüber den Eltern haben. Loyalität reguliert zwar die Beziehungen zwischen den Beamten und dem Herrscher, schafft und erhält Hierarchiestrukturen im Staatswesen und stützt somit das gesamte Herrschaftsverhältnis. Pietät ist demgegenüber jedoch das Prinzip, welches die Kinder im Verhältnis zu den Eltern befolgen müssen. Dieses Prinzip hat dazu beigetragen, dass das Patriarchat in der Familie, als gesellschaftlicher Grundeinheit, gefestigt und ein stabiles gesellschaftliches Fundament geschaffen wurde.
Pflicht zur Nachkommenschaft
Die oberste Pflicht des pietätvollen Sohnes ist es, männliche Nachkommen zu zeugen, damit die Ahnenreihe fortgesetzt und die Familientradition gewahrt werden kann. Diese Denkweise soll auf den Ahnenkult des Konfuzius zurückgehen: „Andern Geistern als den eigenen (Ahnen) zu dienen, ist Schmeichelei.“ (fei qi gui er ji zhi, chan ye. 非其鬼而祭之,谄也。Lunyu论语2.24)
Der Himmel wird als eine sichtbare Verkörperung der Ahnen und Vorfahren dargestellt und somit ist der Himmelskult eng mit dem Ahnenkult verwandt. Letzterer umfasst die drei nachfolgenden Kernelemente:
a) Die Seelen der Ahnen bewohnen als Geister Himmel und Erde,
b) die Ahnen und Vorfahren haben die Möglichkeit und die Fähigkeit, das Schicksal der Menschen auf der Erde zu beeinflussen, und
c) die Vorfahren wünschen ihren Nachkommen Ordnung, Harmonie, Wohlstand und Gedeihen der Vegetation.
Nachkommenschaft zu zeugen ist die Pflicht der Erben und damit die Fortentwicklung des Willens der Ahnen. Sie ist der bedeutendste Faktor für den Aufstieg oder den Niedergang einer ganzen Familie, einschließlich deren Verwandtschaft.
Dieser philosophische Ansatz wird erwähnt, da er gerade in der heutigen Zeit einen großen Einfluss auf chinesische Entwicklung des Konfuzianischen Kapitalismus hat.
[1] Einwände zu Max Webers China-Studie https://www.grin.com/document/270650


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