DUMMHEIT, BELIEBTHEIT UND WEISHEIT
Von Heiko Küffner
YOU HEISST AUF DEUTSCH „ FREUND oder Freundschaft“ UND XIE „DANKE“. EIN GESPRÄCH MIT EINEM BAMBERGER PHÄNOMEN ÜBER MENSCHEN, POLITIK UND CHINA
TEXT S. 48-49
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Ein wenig einsam sitzt You Xie an diesem grauen Dienstagvormittag vor seinem Tee im noch leeren „China Fan Imbiss“. Eine Mitarbeiterin schneidet Gemüse, ab und an huscht ein Student durch die angelehnte Tür um ein schnelles Frühstück in die Vorlesung mitzunehmen. Vor drei Monaten wurde der 56-jährige bei der Kommunalwahl zum Stimmenkönig der CSU gekrönt. Nein, ernüchtert ist You Xie nicht. Dazu kennt er die Politik zu sehr, denn er wuchs damit auf. Die Familie Xie ist in China ein bekannter Name, „wie hier in Deutschland Bismarck“, erklärt You Xie. Kaiser, Herzöge und Bankiers waren seine Ahnen. Jetzt macht er Politik für Bamberg.
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„Es ist sehr schwer für uns“, sagt Xie und blickt aus dem Fenster. Lastwagen donnern vorbei und versperren mit ihren knallbunten Planen für Momente den Blick auf den Kranen. „Naja“, seufzt Xie und meint nicht Bamberg sondern die Volksrepublik China. Auf Deutsch heißt Xie „danke“. Seit Jahrhunderten lebte seine Familie auf der Insel Hainan, die heute als Chinas Mallorca gilt. Die Kinder China lernten die Familiengeschichte in der Schule, bis heute immer noch. Heute zeigt sich die Volksrepublik China undankbar: Seit mehr als 2 5 Jahren gilt für You Xie ein Einreiseverbot. Seitdem er als junger Mann von Bamberg aus gegen das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking anschrieb: für Demokratie, für Pressefreiheit, gegen Korruption in seiner Heimat. Das geschah ein Jahr nachdem You mit seiner Frau Shenhua als Studenten nach Bamberg kam.
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„Ich bin ein Mensch, der immer der Heimat verbundenen ist“, sagt Xie und faltet die Hände. „Wenn ich nichts für China tun kann, dann tu ich etwas für meine neue Heimat.“ Seinen Traum irgendwann nach China zurückzukehren und dort eine Tageszeitung herauszugeben, trug Xie 2010 zu Grabe. Er beantragte die deutsche Staatsbürgerschaft und hielt drei Wochen später die Urkunde in der Hand. In 18 Vereinen und der evangelischen Kirche engagiert er sich inzwischen. „Wer politisch mitgestalten will, der muss in eine Partei“, weiß Xie. Eine Parteiheimat suchte der politische Mensch Xie fast ein Vierteljahrhundert. Wessen Familie von Kommunisten verfolgt wurde, dem sind SPD und Grüne zu links. „Der Weg der SPD von Karl Marx bis zu einer demokratischen Partei und Sigmar Gabriel ist ein gutes Vorbild für die Kommunistischen Partei Chinas“, meint Xie, aber nicht für ihn. Auch 25 Jahre danach verfolgt die Partei jeden, der öffentlich über das Massaker spricht. Der Journalist schreibt heute noch darüber. Zuerst in seiner eigenen Zeitung, der „European Chinese News“, und jetzt als Herausgeber der Europaausgabe der christlichen Zeitschrift „Overseas Campus“.
„Christliche und soziale Grundwerte passen noch am besten zu mir“, meint er. 2012 trat er in die Bamberger CSU ein, Ende des Jahres präsentierte ihn das Parteiorgan „Bayernkurier“ in einem Artikel als Mustermigranten. Die Bamberger CSU-Mitgliedsversammlung stellte ihn zur Kommunalwahl auf und You Xie holte aus dem Stand mit 10621 Stimmen die meisten Kreuze auf der CSU-Liste. Nur fünf Bamberger Kandidaten schnitten besser ab. Sein Slogan „Ente gut, alles gut“ schaffte es bis in die Süddeutsche Zeitung und Frankfurter Allgemeine.
Wer einen Zufallstreffer vermutet, der irrt. „Ich habe schon ein wenig Ahnung von Wahlkampfstrategie“, untertreibt Xie. Vor sechs Jahren ( 2008)arbeitete er als Wahlkampfberater für einen Freund und damaligen Kandidaten um das Amt des taiwanesischen Staatspräsidenten. Und hat der gewonnen? „Aber natürlich“, lächelt You Xie. Ma Ying-jeou holte 58 Prozent und regiert als sechster Präsident heute noch die Republik China auf Taiwan. „Es war sehr schwer das Amt von der Linken zurückzugewinnen“, weiß Xie. Ein Probelauf im großen für Bamberg im kleinen.
Xie pflegt einen anderen Stil. Die Person ist bescheidener, aber sein Wahlkampf plakativer als der andere n Kandidaten. Er erreicht über die Facebookseite seines Imbiss die Netzgemeinde, in der Online-Enzyklopädie Wikipedia ist ihm ein Eintrag gewidmet, ein Buch über ihn erschien kürzlich, Pressematerial und Zeitungsartikel hat er schnell bei der Hand. Rechts neben dem Eingang zum Imbiss hängt seit März sein CSU-Wahlplakat in Großformat. Welcher der anderen Kandidaten würde sich das trauen, sein Parteiplakat neben seine Arbeit zu hängen? Und Xie singt! Noch dazu bei der Arbeit, nicht im Gesangverein. Denn Xie ist Bambergs Koch und bekannt wie die Kuni. Und seit 13.000 Studenten dank einer Gesetzesänderung am Studienort auch ihren Hauptwohnsitz eintragen lassen müssen, dürfen sie in Bamberg auch die Lokalpolitik mitbestimmen und hier wählen. Und wer kennt die Studenten besser als You Xie?
Xie zählt drei Kriterien auf, warum Menschen bei einer Wahl ihr Kreuz bei einem bestimmten Kandidaten setzen: „Entweder aus Dummheit, aus Beliebtheit oder Weisheit.“ Dummheit, weil viele Wähler sich nicht über die Kandidaten informieren und einfach ihr Kreuz setzen. „Ich will nicht schlecht über meine Partei sprechen“, witzelt You Xie. „aber der CSU in Bamberg Partei fehlen die ersten beiden Wählerschichten.“
Doch Politik machen geht anders als eine Partei in einem Wahlkampf zu verkaufen. Als Stimmenkönig „entete“ Xie die Bamberger CSU. Seit drei Monaten sitzt er als Neuling im Bamberger Stadtrat: „Naja, …“, sagt You Xie. Bis Ende Mai gab es nicht viel zu tun: Er wählte den zweiten und dritten Bürgermeister mit, dann wurden die Ausschüsse besetzt. Xie sitzt im Familiensenat und im Jugendhilfeausschuss. Die Kollegen rangelten um Posten im Bausenat, Finanzausschuss, in den Gremien der Sparkasse oder von Stiftungen. Xie wickelt als Aufsichtsrat der „Landesgartenschau Bamberg 2012 GmbH in Liquidation“ die letzten Reste der einstigen Großveranstaltung ab.
„Innerhalb von sechs Jahren, was kann man da bewegen?“ fragt sich You Xie und nippt an seinem Tee. „Ich weiß es nicht.“ Seine Ämter als stellvertretender Sprecher des Jugendhilfeausschuss sowie Mitglied im Familiensenat sind ihm wichtig. Tausende von Studenten fütterte er schon durch, an der Anzahl der Jugendlichen im Imbiss liest er ab, in welcher Schule wieder einmal der Unterricht ausfällt. „Nicht alle Kinder und Jugendlichen sind brav und lieb, aber wir müssen allen jungen Menschen eine Möglichkeit geben“, meint Xie. „Da kann ich etwas tun!“
Xie war einer von 6000 Studenten damals, heute sind es mehr als doppelt soviel. „Mein Lieber!“ sagt You Xie und sieht aus dem Fenster jeden Abend das pralle, junge Leben auf der Unteren Brücke. Was ihn nachdenklich macht: „So viele junge Leute und alle sitzen sie mit Alkohol da.“ Es sei ja schön wenn es den jungen Menschen dort gefällt, schließlich setzten sich ja auch die Einheimischen gern dazu. „Auf der anderen Seite macht es viele Probleme.“ Auch wegen der Wildpinkler fordert Xie mehr öffentliche Toiletten in der Stadt.
In seinem Imbiss dürfte Xie Bier bereits an 16-jährige verkaufen, doch Alkohol gibt es bei ihm erst ab 18 Jahre. Er kennt die Spielregeln der jungen Welt: „An einem 16-jährigen Buben oder Mädchen hängt eine Handvoll jüngerer Kinder hinten dran, für die ist das Bier bestimmt!“ Von einem 18-jährigen würden die sich nie ein Bier besorgen lassen. Meint You Xie.
You Xie hat seit vier Jahren einen deutschen Pass, aber er denkt chinesisch. Erst recht als Familienvater: „Wenn mein Sohn als Student auf Dauer nur Party machen würde, …“ Das Klappern der Edelstahldeckel in der Imbissküche übertönt den weiteren Satz, der mit „… Peitsche“ endet. You Xie lacht. Er ist auch ein bekennender Konservativer.
Sein Sohn Edwar studierte in Garching bei München Physik und promoviert am Walther-Meißner-Institut. „Für mich ist ein Abitur von 1,2 schon sehr schlecht“, sagt er ernst und grinst. „Aber mit 27 Jahren muss man doch seine Doktorarbeit fertig haben!“ In Deutschland gibt es keine Repressionen wie in China: „Hier läuft alles wunderbar! Man muss doch arbeiten, nach der Promotion“, ist er überzeugt: „Man muss doch der Gesellschaft etwas zurückgeben!“
You Xie selbst hörte mit 38 Jahren erst so richtig das Studieren mit Deutsch, Englisch, Germanistik, Journalistik, Europäische Ethnoligie und Jura auf. Vorher arbeitete er vier Jahre als Dolmetscher bei VW in Schanghai. Als chinesischer Germanist in Deutschland eine akademische Laufbahn einzuschlagen ist fast unmöglich. Der Imbiss, den er in Bamberg fand, liefert Tag für Tag Geld für Xies anderes Leben als Journalist, Publizist und jetzt Lokalpolitiker.
„Ich bin mit leeren Händen gekommen und habe jetzt fast alles“, blickt Xie zurück. „Ich beanspruche nichts von meiner neuen Heimat, nur einen Platz für mein Grab wenn ich sterbe.“ Als Stimmenkönig der örtlichen CSU hätte er zum ersten Mal Ansprüche stellen können: Viele Bürger kamen in seinen Imbiss um ihm zu gratulieren und zu fragen, warum er nicht für den zweiten Bürgermeister kandidiert?
Xie wird verlegen: „Es ist mir ….“ Pause: „… zuviel“, sagt er und blickt in seinen Tee. „Ich bin neu in Bamberg. Diese Mentalität, die ich hier kennengelernt habe, ist echt verdammt schwer!“ Er lehnt sich zurück und lacht: „Vielleicht besser Oberbürgermeister in Shanghai oder Peking?“
Sein Wahlkampfspruch lautete: Ich bin ein Bamberger. Xie kann zwischen Wahlkampf und Wirklichkeit sehr gut unterscheiden: „Aber natürlich bin ich kein Bamberger“, meint er. „Ich versuche einer zu werden.“ Die Franken zu kennen und verstehen sei nicht einfach, schüttelt er den Kopf: „26 Jahre sind dafür einfach zu wenig, das braucht drei Generationen.“ Seine Enkelkinder würden – sofern in Bamberg geboren und aufgewachsen – als echte Bamberger durchgehen. „Es ist schwierig, naja!“ Der bescheidene Chinese You Xie passt gut zum bescheidenen Franken You Xie.
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